Kriegskinder - gestern und heute Eines der Referate der Tagung "Kriegskinder gestern - heute", die vom 17.-19.4.2000 in der Evangelischen Akademie Bad Boll stattfand.

Es ist nicht zu spät!

Psychotherapeutische Möglichkeiten für späte Traumabewältigung

von Helga Spranger

VORGEDANKEN

Ich habe in meinem Leben vier mal in eine Waffe, die auf mich gerichtet war, geblickt: Es war das Maschinengewehr eines englischen Tieffliegers, die Flinte eines russischen Panjewagenfahrers, die Pistole eines Geiselnehmers und letztlich die Pistole eines deutschen Polizisten. Die Ereignisse liegen vierzig Jahre auseinander.

Als ich begann, dieses Referat zu erarbeiten in dem Wunsch, meinen Zuhörern den Weg in das schwierige Thema zu ermöglichen, entstanden sie wieder in mir, die zurückliegenden Bilder der eigenen Konfrontation mit dem Tod.

Mit dem psychischen Trauma und dessen Folgen für das Individuum, begann man sich bereits vor 111 Jahren ("traumatische Neurose"), dann während und nach dem ersten Weltkrieg zu beschäftigen.

Die Erforschung der heute so genannten PTSD (Posttraumatic Stress Desease oder Posttraumatische Belastungsstörung ) wurde nach dem 2. Weltkrieg durch die Begutachtung der Leiden der HOLOCAUST – OPFER aktualisiert, in ihrer – politisch verstärkt- Ergebnis orientierten Bearbeitung jedoch erst durch die aus dem Vietnam – Krieg heimgekehrten amerikanischen Veteranen bedeutsam. Diese Soldaten hatten unter eigenartigen, bislang unbekannten, lang währenden, psychischen Beeinträchtigungen gelitten

Jetzt finden in Deutschland mit mehrjähriger Verspätung,- nicht zuletzt durch die aktuellen Kriegsereignisse um uns herum, lebhafte Diskussionen um dieses Thema und dessen therapeutische Leitlinien statt.

 

Folgen Sie mir bitte nun auf einem metaphorisch - psychotherapeutischen Weg:

Eigentlich wachsen wir auf in dem unbewussten "Bewusstsein" der Unversehrtheit an Körper, Geist und Seele. Wir gehen nicht von der Grundannahme aus, dass wir in unserem Sein zerstört werden könnten. Unsere Grundannahme basiert auf der Entität des Ganz – Seins der eigenen Persönlichkeit. Um so dramatischer trifft es Menschen, wenn schwere seelische, körperliche, soziale und geistige (!) Traumata, das Ideal dieser Unversehrtheit in Teilstücke, - Fragmente- zerbrechen lassen. Das Selbstideal der Persönlichkeit, das Zusammenhaltende, wird schwer beschädigt oder fällt völlig auseinander.

Wieviel von uns auseinander bricht, hängt davon ab, wie dramatisch ein Trauma uns trifft und - als wie "bruchfest" sich unsere ganze Persönlichkeit – unser ICH erweist.

Unbewusst versuchen alle Lebewesen sofort, sich aus einer Katastrophe zu retten, sich zu ihrer Gruppe zu flüchten und wieder zu einem "Ganzen" zu werden, jedes Lebewesen auf seine Weise.

Manchen Tieren gelingt es nicht, sie sterben im Flüchten

Wir Menschen suchen Bindungen oder deren Bruch-Endstücke, die uns helfen, wieder zu uns und oder zu anderen Menschen zu finden: Kinder zu Müttern, Mütter zu Kindern, der Soldat zum Kameraden, die eine Frau zur anderen, der eine Gefolterte zu einen anderen "Menschen", die Söhne zu ihren Vätern.

Manche suchen irrend sich selbst, sich allein. Manche haben keine Kraft mehr zu suchen.

Der Prozess des mühsamen Zusammenfügens der persönlichen "Scherben" begleitet uns dann ein Leben lang. Wir sind nicht immer sofort bewusst daran beteiligt. Vielmehr läuft diese "Anwendung" als "Defragmentierungsprogramm" im Verborgenen wie bei Ihrem PC. Früher oder später zeigen sich falsch zusammengesetzte Bruchstücke, einzelne Spitzen ragen aus dem Gesamten, ein oder mehrere Teile fehlen ganz.

Wie können Eltern, Grosseltern, Anführer, Gefangene, Generäle, Gefolterte, Verfolgte. Gedemütigte, Entwürdigte, Missbrauchte, Soldaten und Kinder damit leben?

Welche Spuren der erlebten aber nicht immer auch erlittenen Traumata sind nicht zu tilgen und führen zu schweren Beeinträchtigungen der Betroffenen früher oder später?

Der traumatisierte Mensch leidet unter der unversöhnten Erinnerung an das eigene Drama. Er muss ständig dagegen kämpfen oder sein Schicksal hinnehmen, trägt auch später vielleicht noch das Erlebnis als nicht in Worte zu fassendes Ereignis in sich.

Die Einmaligkeit der eigenen Unversehrtheit ist zerbrochen.

Philipp Reemtsma, nach dreiunddreissig Tagen Geiselhaft:

"Wer vollständig ohnmächtig ist, ist bei lebendigem Leibe nicht mehr da".1

 

DAS ERLEBEN

Ich werde Ihnen nun über einige neuropsychologische Möglichkeiten der Verarbeitung traumatisierender Ereignisse berichten, um Ihnen neben den erschütternden Erinnerungen und aktuellen Ereignissen die Sicht auf die lebens – und überlebensfähigen Anteile der Persönlichkeit frei zu halten oder wieder zu eröffnen. Dazu ist es erforderlich, kurz auch auf Kenntnisse aus der Pränatologie und der Entwicklungspsychologie des Menschen einzugehen.

Wir wissen, dass während der Schwangerschaft der Embryo mit der Mutter nicht nur körperlich über die Nabelschnur verbunden ist - mit allen auch bedrohlichen Folgen, sondern emotionale Bewegungen der Mutter sich auf das Kind übertragen und dort bereits frühe Spuren,- in bestimmten Strukturen des noch unreifen kindlichen Gehirns: - Zwischenhirn und Mandelkern-, hinterlassen können. Es ist seit Anfang der 80-er Jahre erwiesen, dass die Ohren der Babys im Mutterleib "nicht etwa mit Käseschmiere verschlossen" sind, so dass die Kinder fast nichts hören, sondern dass die Babys von Geburt an "differentielle Reaktionen auf hoch- oder niederfrequente Töne" zeigen2. Dornes hat durch bestimmte Versuchsanordungen zeigen können, dass die schon im Mutterleib gehörte Musik nach der Geburt vom Säugling wiedererkannt und durch entsprechend positiv verstärkte Wohlfühläusserungen beantwortet wurde.

Ich bin mir ganz sicher, dass ungeborene Kinder den Geschützdonner, Bombeneinschläge, das Schreien von Mensch und Tier akustisch notieren als etwas, was sich von den sonstigen Begleit- Geräuschen im mütterlichen Leib scharf unterscheidet, ganz abgesehen von den pathopysiologischen Begleiterscheinungen, wie Ausschüttung von mütterlichen Stresshormonen, Blutdruckanstieg und vieles mehr.

Diese Kinder können sowohl wegen Unterernährung oder körperlicher wie seelischer Traumatisierung der Mutter schon vor ihrer Geburt erheblich in ihrer Gesamtentwicklung beeinträchtigt sein. Sie werden weniger gut ausgestattet in eine Aussenwelt hinein geboren als Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft keinem Mangel ausgesetzt waren.

Neugeborene bemerken einen Unterschied zwischen synthetisch erzeugten Geräuschen und der menschlichen Stimme. Sie können sich in ihren Körperbewegungen synchron auf bestimmte Lautäusserungen (Phoneme) der Erwaschsenensprache einstellen.

Neugeborene können ferner nach etwa 7 Tagen den Geruch der Mutter wiedererkennen.

Sie können besser sehen, insbesondere können sie menschliche Gesichter kompetenter abtasten als bisher angenommen. Vom 2. bis 4. Monat hat sich die Fertigkeit, Gesichter aus ihren Einzelteilen zu einer "Gestalt" zusammenzufügen, vervollkommnet, mit dem 7. Lebensmonat zusätzlich die Fähigkeit entwickelt, dessen emotionalen Ausdruck zu erfassen.

So können Neugeborene, heranwachsende Babys und Kleinkinder den so wichtigen Aufbau von seelischen Bindungen zwischen der erstversorgenden (meistens) Mutter- und dem hinzutretenden (meistens) Vater und sich selbst mit gestalten. Sie formen damit aktiv den Weg von der Dyade zur Triade mit.

 

NEUROPSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGEN

haben zusätzlich wichtige neue Hinweise auf die Informationsverarbeitung in unserem Gehirn erbracht:

" Auf der Grundlage und im Rahmen unzähliger episodischer Erfahrungen differenziert ein Mensch zugleich eine Vielzahl seelisch –geistiger Funktionen aus, um seine Bedürfnisse befriedigen und seine Lebensanforderungen bewältigen zu können.......Dieses Schema ist hochabstrakt und damit leblos. Mit Leben füllen können wie es nur, wenn wir die persönliche Geschichte des einzelnen Patienten betrachten und nachempfindend zu verstehen versuchen, was er warum aus seiner Geschichte gemacht hat, bezw. was er warum nicht daraus hat machen können".3

Deneke erklärt weiter, dass zu diesen Funktionen "sinnlich – anschauliche Erinnerungsbilder" gehören, die die Erinnerung an "episodische Geschehnisse" speichern. Es bilden sich in den Strukturen des Gehirns in bestimmten Arealen sog. "Funktionsmuster" im engen Zusammenhang mit stoffwechselaktiven intrazerebralen Vorgängen aus.

Die Art der emotionalen Verkopplung und die Möglichkeit der negativen oder positiven Verstärkung dieser Muster

"hängt nicht linear von lebensgeschichtlichen Erfahrungen ab. Auch frühere Traumatisierungen, die ein Mensch erlitten hat, sind kompensierbar, wenn günstige Lebensumstände zusammen kommen, die die Tragfähigkeit seiner Struktur erhöhen, z.B. spätere Beziehungserfahrungen, die er entwickelt hat..." (Deneke)

Es wird inzwischen ausserdem untersucht, warum "flash – backs" in bestimmten Hirnarealen, den Mandelkernen (Corpora amygdaleae) zwar registriert werden, jedoch weder zum Sprachzentrum (Brocca Region) noch zum Frontalhirn weitergeleitet, also sprachlich nicht fassbar werden. Die übererregten Mandelkerne lösen zwar Ihrerseits den stressbedingten Stoffwechselablauf aus (Epinephrin » Norepenephrin), eine Rückregulation findet jedoch nicht ausreichend statt (Kortisol bleibt erniedrigt), sodass diese Menschen sehr schwer auf das physio –psychische Ruheniveau zurück finden.

Nach den bisherigen Erkenntnissen wird diskutiert,

"dass komplexen posttraumatischen Syndromen eine funktionelle Gehirnpsychosomatose zugrunde liegt",

 

die mit einzuplanen bei Psychotherapien von PTSD erforderlich sei.

Wir wissen inzwischen auch, dass bereits frühe Erinnerungsspuren des Kindes in eben diesem Hirnareal niedergelegt sind.

 

DIE INTRAPSYCHISCHE VERARBEITUNG DER ERLEBNISSE

Jeder Betroffene verarbeitet die Erlebnisse so, wie es ihm sein eigener körperlicher, seelischer und geistiger Zustand erlaubt.

Die Entscheidung darüber, ob sich Krankheit oder Gesundheit entwickelt, unterliegt einer intrapsychisch - prozesshaften Entwicklung, die abhängig ist von einem umfassenden, dynamischen Bedingungsgefüge, das sich im Verlauf des Lebens umstrukturieren kann, also selbst einem Prozess unterliegt.

Entscheidende Bedeutung haben dabei zum Zeitpunkt des traumatisierenden Ereignisses:

"der entwicklungspsychologische Stand entsprechend dem Reife - Alter der Betroffenen,
die bis dahin gespeicherten positiven Lebenserfahrungen,
die konstruktiven, bis dahin entwickelten stützenden Fähigkeiten und Fertigkeiten,
Werte und Überzeugungen, die den Betroffenen zuverlässig leiten können."

Sie werden verstehen, dass so jede einzelne Lebensphase eines betroffenen Menschen eine völlig andere Ausgangsbasis zur Bewältigung persönlicher Katastrophen bereitstellen kann.

An dieser Stelle bekommen die möglichst schnell, später oder gar nicht angebotenen professionellen Hilfen eine entscheidende Bedeutung.

Abbildung 1 [Abbildung zum Betrachten bitte anklicken]
Spranger nach Reddemann u. Sachsse:
Die normale und pathologische Verarbeitung eines Traumas

 

BEHANDLUNGS – METHODEN

Psychotherapeutische Verfahren [Abbildung zum Betrachten bitte anklicken]
Psychotherapeutische Verfahren

Es werden neben erforderlichen psychosozialen Interventionen z. Z. fast alle Methoden der anerkannten nonverbalen und verbalen Psychotherapie- Verfahren im Kinder und Jugendlichen – Bereich wie auch Erwachsenen – Bereich mit Einschränkung des Geronto - psychotherapeutischen Bereichs angewandt. Es kommen sowohl einzelne wie kombinierte Verfahren zur Anwendung. Es hat sich heraus gestellt, was sich auch sonst in der Psychotherapie andeutete, dass die "reine Lehre" in der umfassenden Behandlung von schwer traumatisierten Menschen nicht durchführbar ist. Dementsprechend haben wir es mit einer sog. multimodalen Therapie zu tun.

Einzelfallbehandlungen scheinen mehr als Gruppenbehandlungen gebräuchlich, es werden sowohl ambulante wie stat. Behandlungen durchgeführt.

Auch wenn methodisch unterschiedliche therapeutische Wege eingeschlagen werden, haben sich jedoch vergleichbare Phasen im Ablauf des therapeutischen Prozess entwickelt

Anfängliche Stabilisierungsphase
Traumaexpositionsphase
Phase des Trauern, der Sinnfindung und Reintegration der Persönlichkeit. 4

Die Behandlung des PTSD beziehe grundsätzlich auch die Kombination von medikamentöser Behandlung ( Anxiolytika) und supportiver Psychotherapie mit ein......

"mit einer stützenden und empathischen Einstellung des Therapeuten gegenüber dem Patienten im Vordergrund, verbunden mit der Ermutigen, sich mit Situationen wieder auseinanderzusetzen, die aufgrund der Traumatisierung phobisch vermieden wurden (.Sachsse5)

Auch Erwachsene können ihre frühen Traumatisierungen mitunter nur indirekt mitteilen. Bewegende Begleitgefühle (Affekte) sind häufig abgespalten, verdrängt, u. U. auch gebunden in einer stillen Solidarisierung mit dem Auslöser oder dem eigenen Leiden. -So schlimm war es vielleicht gar nicht Daran waren wir ja selber Schuld!

Die Behandlung verläuft für alle beteiligten kompliziert. Sie fordert von den Therapeuten neben fundierten fachlichen Kenntnissen und Supervision einerseits eine erhebliche eigene seelische Stabilität.

Traumatisierte Patienten vermitteln in der Übertragung eine ständig sie umgebende Angst6, wenn die Erinnerung an frühe Traumatisierungen unbewusst wach gehalten wird. Es kann zu einer Befreiung von dem introjezierten Trauma durch eine vorübergehende sog. traumatisierende Übertragung auf den Therapeuten kommen.

- Ich kann in diesem Vortragsrahmen nur ansatzweise darauf eingehen-

Holdegger (1998) betont, es sei wichtig, dass der Therapeut "das Kind in den Armen hält", während er selbst sich mit dem "bösen" Introjekt des "Kindes" auseinandersetze. Er darf sich dem introjezierten Verfolger nicht auch ausgeliefert fühlen, er müsse sich gewissermassen wie der Erzengel Michael schützend vor den Patienten stellen.

Der Patient solle im therapeutischen Prozess spüren lernen, dass er dem Therapeuten; "das bedrohte innere Kind" wie Holdegger sagt, anvertrauen kann.

Dem Leitmotiv unserer Tagung entsprechend, werde ich mich jetzt nur auf die durch totalitäre Machtpolitik und Kriegseinwirkung verursachten Traumen beschränken und deren Folgen und Therapiemöglichkeiten skizzieren.

 

WAS ERLEBT EIN MENSCH, DER PLÖTZLICH DERARTIGEN GESCHEHNISSEN PASSIV AUSGESETZT IST ?

Sofort

Verwundungen, Schmerzen, Schock, Entsetzen durch das Zuschauen bei Greueltaten, Angst, Panik, Hunger, Entführung, Vertreibung, Flucht, Unterwerfung, Entwürdigung,

Furcht vor Wiederkehr des Traumas, der Bedrohung, Schuldgefühle, weil man selbst überlebte, Angehörige jedoch zu Tode kamen.

Soforthilfe:

Hier spielen realistische Hintergrundfragen eine erhebliche Rolle für das Gelingen einer therapeutischen Intervention wie z. B.: Welche Traumata wurden erlitten und welches sind die akuten Merkmale? Wurden Familien getrennt? Sind Kinder oder Eltern verlorengegangen? Kann den Betroffenen vor Ort, d. h. in ihrer vertrauten Umgebung geholfen werden oder ist das nicht mehr möglich? Ist es erforderlich, die Betroffenen in Lagern zusammenzufassen?

Dieser Bereich der Ersthilfe wird meisten von Hilfsorganisationen übernommen. -Riedesser (2000) jedoch fordert zumindest für Kinder sofortige psychotherapeutische Hilfe am Orte des Geschehens.

(Inzwischen wurde jedenfalls für zivile Katastrophen dieser Forderung Rechnung getragen, es werden interdisziplinär psychologische Profis und ausgebildete Laienhelfer eingesetzt.)

Traumatische Belastungen im weiteren zeitlichen Ablauf

Verlust von primären, überschaubaren Bindungen und sozialen Bezügen, durch Verlust der primären Gruppe: Familie. Auch die sekundären Sozialisierungsgruppen der Kinder und der Pubertierenden, der Erwachsenen und der alten Menschen sind weg gebrochen. Schliesslich existieren nicht mehr die strukturierenden Arbeitsbereiche, die religiösen Gemeinschaften, bestimmte Stammes- Dorf- oder Stadtteilrituale und Standeszugehörigkeit.

Die Unterbringung in Massenunterkünften führt gruppendymamisch gesehen, neben dem Zusammenbruch des individuellen psychischen Systems zusätzlich noch zu einer Vermassung innerhalb einer Gruppierung von mehr als 20-50 traumatisierten Menschen mit psychopathologisch bedeutsamen, negativen Folgen:

Der sich schon in einer regressiven Verfassung befindende traumatisierte Mensch findet in sich kaum mehr ruhende Kernpunkte (stabile ICH - und OBJEKT – Repräsentanzen – und Bindungen) als Voraussetzung für eine zügige psychische Reorganisation und die erforderliche Konsolidierung.

Die zunehmende Bindungs – und Beziehungskonfusion führt zu weiterer Regression, das bedeutet besonders bei Kindern und Jugendlichen Rückschritt von bisher erreichten Entwicklungsschritten in frühere Erlebnis - und Verhaltensweisen.

Eine weitere Folge wird den Erwachsenen sehr bald im langen untätigen Warten in den Lagern deutlich: die Rest - Familien sind durch Verlust der Berufsausübung ihrer pekuniär– autonomen existentiellen Grundlage beraubt. Das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Existenz kann nicht mehr ausgeübt werden, es wandelt sich zu einer unausgesprochenen oder deutlich verkündeten Pflicht zur stillen, kritiklosen Anpassung an die gegebenen Umstände oder zur Kumpanei mit den Herrschenden – so dies noch möglich ist.

Der narzisstische Zufluss über die soziale, damit auch gesellschaftliche Verankerung und Anerkennung innerhalb einer Siedlungszugehörigkeit findet nicht mehr statt.

Diese Zustände des Wartens, der Unfähigkeit, eigene Aktivität sinnvoll einzusetzen, des Ausgeliefertseins an die Umstände, der Perspektivlosigkeit, werden unterschiedlich lang anhalten, solange sich realistische Gegebenheiten den psychosozialen Bedürfnissen der Traumatisierten entgegen stellen.

Wir wissen, dass kriegstraumatisierte Menschen Wochen, Monate oder Jahre, in Massenlagern leben müssen- und ghettoisiert werden! Darüber hinaus vernichtet das Verbot der Arbeit zusätzlich ICH – stabilisierende Leistungs– Impulse.

Psychotherapeutische Interventionen im engeren Sinn

haben die Aufgabe, den Identifikationsverlust und die veränderte soziale Positionierung innerhalb einer grösseren Gruppe - über den Verlust von primärfamilialen Bindungen hinaus -, aufzugreifen. Ich denke insbesondere an das Auseinanderbrechen von Dorfgemeinschaften, Feind – Freund - Polarisierungen, Feind - Identifizierung oder späte Solidarisierung mit dem Feind als neues narzisstisches Objekt.

-Genau diese gruppenanalytischen Zusammenhänge mit der Schwierigkeit der sekundären Sozialisierung können auch heute Thema - bezogen weltweit beobachtet werden.-

Schliesslich müssen sie sich auf den unterschiedlichen körperlichen und seelisch – geistigen Entwicklungsstand, die erreichte Konsolidität der ICH-Entwicklung und die Beziehungfähigkeit der Betroffenen einregulieren.

PSYCHOTHERAPIE MIT KINDERN

Kinder werden entsprechend ihrem Alter mit geeigneten nonverbalen Instrumentarien (Malen, Spiele), mit den dazu gehörenden analytischen Interpretationen und verbal mit entsprechenden Kinder- psychotherapeutischen Gesprächstechniken behandelt; selbst Säuglinge werden behandelt. Riedesser schildert Behandlungen eines Kleinkindes im Alter von 2 1/2 Jahren mit 2-Wort bis –3 - Wort – Sätzen. Sie seien fähig zu begreifen, so Riedesser (Uniklinik Eppendorf), an welchen Konflikten sie leiden. Unbewusst gebliebene Traumatisierungen seien für das Bewusstsein des Kindes zugänglich, wenn der Konflikt auf "den Begriff" gebracht sei.

 

PSYCHOTHERAPIE MIT ÄLTEREN ERWACHSENEN

Es geht im Kindertherapeutischen wie im Erwachsenentherapeutischen Bereich zwar auch um die Linderung der Beschwerden, jedoch nimmt die Veränderungsfähigkeit des einzelnen traumatisierten Patienten eine wichtige Stellung in der Hierarchie von Krankenkassenleistungen ein. Diese Frage wird bedeutend im gerontologischen Bereich, wenn die Veränderungsfähigkeit der Patienten zurück tritt und vorwiegend die Linderung der seelischen Beschwerden im Vordergrund steht

Grundsätzlich stehen aber allen Betroffenen die Instrumentarien der aufgezeigten psychotherapeutischen Methoden zur Verfügung.

 

"ALTE KRIEGSKINDER"

Therapeutische Aktivitäten, scheinen sich derzeit - bis auf sehr wenige Ausnahmen auf den Kinder – und Jugendlichen sowie den jüngeren Erwachsenenbereich zu beschränken.

Älteren betroffenen Menschen werden bis auf wenige Ausnahmen diese therapeutischen Möglichkeiten nicht in einem angemessenen Umfang zugestanden.

Eine uralte Freud‘sche Begründung, die sich auf die Psychoanalytische Ausbildung bezog, hält sich immer noch hartnäckig: Danach konnte man nach dem 40.- 42. LJ keine analytische Ausbildung mehr beginnen; die Flexibilität des Geistes und der Seele wurden danach als nicht mehr ausreichend angesehen. Ein effektiver Prozess mit umfassender intrapsychischer Veränderung sei nicht mehr gegeben.

Heute noch ist der Zeitpunkt, von welchem Lebensalter an ein älterer Mensch in dem gerontologischen Behandlungsbereich anzusiedeln und damit (krankenkassentechnisch) von einer Psychotherapie ausgenommen wird, eher unklar. Die willkürliche Festlegung auf ein biologisches Alter von 58 oder 60 Jahren hat für den älteren Betroffenen häufig den Verlust des Anspruchs auf psychotherapeutische Behandlung zur Folge

Unabhängig von derartigen Überlegungen haben sich trotzdem psychotherapeutische Zugänge für ältere und sehr alte Menschen entwickelt, die zu einer Linderung der bisweilen beträchtlichen PTSD - Beschwerden führen können.

Wir haben von den sofortigen und späteren Traumatisierungswirkungen bei Kindern gehört. Wir kennen inzwischen die Spätfolgen bei nicht behandelten Opfern.

Wir wissen inzwischen, dass weltweit ca. 1,5 - 1,6 Millionen Kinder allein in den achtziger Jahren durch Kriegseinwirkungen betroffen sind.

Aus dem Krieg 1939 – 45 sind mir keine entsprechenden Zahlen bekannt, die aufklären, wie viele Kinder im damaligen "Deutschland" und dem bekämpften "Feindesland" durch direkte oder indirekte Kriegsereignisse traumatisiert wurden ausschliesslich der HOLOCAUST - Kinder.

Die damaligen Kinder - zwischen 1930 und 1945 geboren -, sind heute 55 Jahre und älter.

Sie haben vermutlich nicht nur einzelne Erlebnisse, sondern sich häufende (kumulierende) oder sich aneinander reihende (sequenzielle) leichtere oder schwerere Traumatisierungen erlitten.

Bitte, erinnern Sie sich an die Zusammenhänge der kindlichen Entwicklung in Abhängigkeit zu den traumatischen Störungen, von denen ich vorhin sprach.

Riedesser hat in seinem 1998 erschienen "Lehrbuch der Psychotraumatologie"7 ausdrücklich auf die Verknüpfung von verschiedenen, lebensgeschichtlich relevanten Bedrohungen für Kinder hingewiesen:

"Persönlichkeitsentwicklung und Familendynamik
+
Krieg und Verfolgung
+
Migrationsprozess (Flucht und Lagerleben)
+
Lebenssituation im Aufnahmeland
+
Remigration
drohend
erzwungen
freiwillig"

Wir können anhand dieser Zusammenstellung den Bogen spannen zu den nun älteren Menschen, die ich die "ALTEN KRIEGSKINDER " nennen möchte und deren Kriegstraumen ca. 55-62 Jahre zurück. Liegen.

Auch in ihr ICH sind noch psychische Fragmente eingelagert, evtl. auch dissoziativ abgespalten, die im Verborgenen ein ständiges Störfeld gegen die eigene seelische Gesundheit darstellen können. Möglicherweise mussten ein Leben lang enorme Anstrengungen erbracht werden, um Narben aus der damaligen Zeit am aufbrechen zu hindern.

Es ist bekannt, dass Traumata in ihrer unbearbeiteten zerstörerischen Wirkung transgenerational an die nächste und übernächste Generation weitergegeben werden. Die, die damals Kinder waren, sind heute – sofern sie noch leben, Grosseltern oder Urgrosseltern. Sie haben vermutlich nur selten eine sog. ursachengerechte Psychotherapie erfahren, ursachengerecht im Verständnis der erlittenen Kriegseinwirkungen, sodass sie ungewollt und unbewusst seelische "Artefakte" an die Kinder und Grosskinder übergeben haben.

Sie haben sich unbewusst einer eigenen oberflächlichen Pseudotherapie im Sinne seelischer Wiedergutmachung unterzogen durch den passiven Wechsel aus dem totalitären Hitlerstaat in eine Demokratie. In der Folge aktivierte das "Wirtschaftswunder", die lebensbejahenden, die überlebensfähigen Anteile der Betroffenen: das Wiederbeschaffen von materiellen Gütern, von Statussymbolen wie Kühlschrank, Auto, Haus, vermittelte zumindest materielle Sicherheit, die Mitgliedschaft in einem Heimatverein das Gefühl der Wiederaufnahme in eine Gemeinschaft, die Onkelehe vielleicht eine wiedergewonnene geschlechtliche Identität.

Retraumatisierungen, flash – backs, können auch bei älteren Menschen auftreten, besonders dann wenn die o.a. Abwehrmechnismen nicht mehr greifen und zusätzlich sich belastend auswirkende Veränderungen durch persönliche Verluste die Situation verschärfen.

Die Älteren leiden – anders als bei den PTSD – Patienten bisher bekannt-, unter scheinbar weniger dramatischen, atypischen Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Unruhe, psychoreaktiven und depressiven Störungen, unter denen sich Retraumatisierungs –Symptome verbergen können.

Natürlich kann man ihnen im Bedarfsfall theoretisch therapeutische Hilfe zukommen lassen. Aber, es scheint Hindernisse im Umgang mit den Beschwerden der Älteren zu geben. Tief verborgen spielen auf therapeutischer Seite womöglich unausgesprochene Vorwürfe oder Vermutungen eine Rolle, Vorbehalte der Behandler aus der 2. Und 3. Generation gegen eine Täter – Generation, die dem nationalsozialistischen, dem sog, 3. Reich angehörte und mehr oder weniger daran aktiv mitgewirkt haben könnte.

-(Eine Wiederbelebung derartiger Vorbehalte auf einer anderen politischen Ebene konnte ich sehr gut nach der Wiedervereinigung im beiderseitigen Kontakt zwischen Patienten aus der ehemaligen DDR und dem therapeutischen Team feststellen)

Andererseits bestehen Patienten-seitig häufig Vorbehalte gegen die in den allermeisten Fällen jüngeren Therapeuten: sie hätten nicht die Kompetenz des Verstehens damaliger Situationen. Sie seien ja nicht dabei gewesen! Es gibt auch hier erhebliche Übertragungs – und Gegenübertragungs- Probleme

Dennoch ist es möglich, diese Menschen zu behandeln wenn sie nicht zusätzlich an schweren hirnorganischen Begleitstörungen leiden.

Grundsätzlich können alle anerkannten Psychotherapie-Verfahren modifiziert zur Anwendung kommen.

Es haben sich jedoch Schwerpunkte heraus gebildet:

Der integrierte Behandlungsansatz nach Radebold

"Kennenlernen der Älteren in ihrer bisherigen Identität als Erwachsene einschließlich ihrer Interessen und ICH – Leistungen

Fortgeführte oder erneute stabile und verläßliche Beziehung mit einem positiven Übertragungsangebot

Zur Verfügung stellen einer vertrauten Sicherheit vermittelnden und überschaubaren Umwelt und

Vermeidung regressionsfördernder Massnahmen".

Darüber hinaus:

ICH – stützende, tiefenpsychologisch orientierte, bzw. psychoanalytische Einzel – oder Gruppen- Behandlung als Langzeit - Behandlung. Es werden 1-2 (analytische) Einzel - Sitzungen bei Pat. zwischen 55 –75 Jahren als sinnvoll angesehen

In der Gruppe fühlen sich Ältere besonders wohl, wenn die Gruppe als geschlossene Gruppe arbeitet, damit ein häufiger Wechsel die Vertrautheit und Kohäsion nicht stört. Traumarbeit in der Gruppe hat sich bewährt.

Psychosomatische Hilfestellung8 und zeitweilige therapeutische Übernahme von Eltern- Funktionen ( späte holding funktion) ist möglich.

Verbesserung der sozialen Kontakte durch psychosoziale Zusatzbetreuung

- Nach meiner eigenen Erfahrung haben sich besonders Körper- orientierte Begleitbehandlungen aus dem Bereich modifizierter physiotherapeutischer Anwendungen und Krankengymnastik günstig auf die Motivation zur Therapie ausgewirkt oder diese sogar mit guten Erfolg ersetzt-

Alle Therapeuten und Therapien haben vorrangig den Auftrag, dem sehr viel Älteren eine wesentliche seelische Entlastung zu ermöglichen anstatt eine Veränderung seiner Persönlichkeit zu erzwingen. Das "lindern" seiner Beschwerden steht im Vordergrund.

OHNE KOMMENTAR [Abbildung zum Betrachten bitte anklicken]
OHNE KOMMENTAR

ABSCHLUSS?

Nein!

Spuren der inneren und äusseren Verwüstung ziehen sich über Generationen hinweg.

Uns bleibt aber die Möglichkeit, in die Speichen des Kriegsrades zu greifen.

Dazu müssen wir uns der Konfrontation mit der Frage stellen, wie weit wir unbewusst an der Gewaltmaschinerie beteiligt sind oder waren und die eigene Schuldverstrickung eingestehen können.

Wir müssen aber auch die Frage stellen, warum niemand damals und heute bei den "Alten" Kriegskindern in die Teil - nahme an ihrem Befinden eingetreten ist und damit den Zugang zum eigenen Schmerz eröffnet hat.

Schliesslich – und das scheint mir heute das Drängenste, was beide bisher unbeantworteten Fragen miteinander zu tun haben.

Menschen, die furchtbar unter den Kriegshandlungen im eigenen Land gelitten haben, die Brandbomben, Vergewaltigungen, Tötungen miterlebten, sollten die Möglichkeit wahrnehmen dürfen, das eigene psychische Leiden öffentlich zu machen, es nicht mehr eingeschlossen zu halten, weil es bisher in der Hierarchie der Leiden zu klein und unberechtigt schien im Vergleich zu dem, was sonst geschehen war. Dann würde eher ein Weg zur Auseinandersetzung über verborgene Schuld – Täter – Verstrickung und ausufernde Aggressivität in dieser und den nachfolgenden Generationen möglich.

In den letzten 50 Jahre wurden wir Zeitzeugen von Naturkatastrophen, Hungersnöten, Epidemien und - Greueltaten durch Hand anlegen von Menschen an Menschen. Wir hatten uns daran gewöhnt.

Aber erst durch den Krieg im Kossowo scheinen bisher stabile Dämme gebrochen zu sein. Es scheint jetzt eher möglich, auch den Zugang zum eigenen Leiden zu öffnen.

Möglicherweise hat sich jetzt hier in unserem Land – auch ein zunächst politischer Prozess des Wiedergutmachens entwickelt, der als Ausdruck der Durcharbeitung von Schuld und Trauer endlich auch den Zugang zum Leiden aller Betroffenen dieser unsäglich verrohten Epoche ermöglicht.

ES IST NICHT ZU SPÄT !

Literatur

Startseite Resolution Arbeitsgruppe Links Kontakt

Letzte Änderung: 23-MAY-2000
webmaster@kriegskind.de